Interview mit Oswald Henke
» Goethes Erben « Ungekürzte Version Journal-Interview mit Oswald Henke zum neuen Album "Nichts bleibt wie es war" Goethes Erben ist eine Band, die aufgrund ihrer ehrlichen und drastischen Art, Musik zu machen, oftmals mißverstanden wurde. Verbale Blutbäder und düstere Texte gaben Anlaß, der Band den Stempel einer reinen Düsterkombo überzudrücken, anstatt die Ideologie ihrer Mischung aus Musiktheater und Textperformance zu hinterfragen. Das Journal sprach mit Oswald Henke über das neue Album "Nichts bleibt wie es war" und der Ideologie, die hinter Goethes Erben steckt.
Journal: Wieso trägt das Album den Titel "Nichts bleibt wie es war"?
Oswald Henke: Weil es auf dem Album um Veränderung geht.
Journal: Werden sich Goethes Erben in der Zukunft anders präsentieren?
Oswald Henke: Wir präsentieren uns auf dem Album ja schon anders. Und wir haben uns ja eigentlich schon von Album zu Album immer wieder neu definiert und immer wieder neue Horizonte erschlossen. Egal ob musikalisch, oder auch inhaltlich und textlich, weil zwischen dem Niemandsland-Album und dem Blauen-Album lagen schon Welten. Und auch später dann zwischen dem Blauen-Album und "Schach ist nicht das Leben" lagen wieder einige neue Horizonte, die wir uns auf unserem künstlerischem Weg erschlossen haben. Das heißt, wir bleiben einfach nicht stehen und wiederholen uns, sondern wir versuchen, immer wieder etwas neues zu machen, um uns nicht der Langeweile hingeben zu müssen.
Journal: Besitzt "Nichts bleibt wie es war" ein bestimmtes Gesamtkonzept?
Oswald Henke: Ich würde einmal sagen, "Nichts bleibt wie es war" erzählt so ein bißchen die eigene Geschichte von Goethes Erben. Und zwar auf diesem Album ist eigentlich alles, was Goethes Erben ausmacht, enthalten. Das heißt, die unterschiedlichsten musikalischen Aspekte und auch eine Entwicklung, was Goethes Erben ausmacht. Eine klare Fokussierung auf textliche Inhalte, allerdings auch eben mit den unterschiedlichsten stilistischen Möglichkeiten, das umzusetzen. Wenn man z.B. ein Stück wie "Zimmer 34" betrachtet, das extrem textlastig ist. Oder eben ein Stück wie "Glasgarten" oder "Schreiheit", die doch relativ songorientiert sind, was es bei Goethes Erben in dieser Form so noch nicht gab. Und deshalb ist das Album ja auch in drei Kapitel geteilt, was zeigt, was Goethes Erben im Groben machen.
Journal: Das neue Album dürfte sowohl alte Fans befriedigen, als auch ein Zugeständnis zur Gewinnung von neuen Fans machen. Gegenüber früheren Alben besitzt "Nichts bleibt wie es war" eine ausgeprägtere Zugänglichkeit. Es sind mehr Stücke mit eigentlichem Songcharakter und potentiellem Hitcharakter vorhanden. Wieso?
Oswald Henke: Ja, schön wenn es so wäre. Man traute uns das ja auch sonst nie zu. Wir wollten auch mal zeigen, daß wir, wenn wir wollen, auch so können. Bislang wollten wir eben nie. Wir versuchen eben, Leuten eine Tür aufzuhalten, die bislang keinen Zugang zu Goethes Erben gefunden haben. Kommerzieller sind wir mit Sicherheit nicht geworden, weil da sind schon ein paar Stücke drauf, die den kommerziellen Aspekt deutlich in Frage stellen. Aber darum geht es nicht. Uns geht es darum, neue Leute auf Goethes Erben aufmerksam zu machen und sie eventuell dafür zu interessieren. Und das funktioniert eben nicht unbedingt, wenn man zum Beispiel ein Stück wie "Zimmer 34" als Single veröffentlicht, sondern ein Stück wie "Glasgarten".
Journal: Ein Song mit Hit-Charakter ist die 2. Single "Glasgarten" auf der Peter Heppner von Wolfsheim als Duettpartner vertreten ist. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande, die ja vielleicht auch Tore öffnet?
Oswald Henke: Wünschenswert wäre es.
Ich habe ihn letztes Jahr auf der GAMA-Verleihung in Hamburg kennengelernt, bzw. gekannt habe ich ihn schon vorher, allerdings nur vom sehen von Festivals und er ist ja ein Label-Kollege von uns. Mindy und ich haben schon ein Stück für dieses Album geschrieben und damals gab es dieses Stück dann schon, allerdings ohne eben eine Gesangsstimme im Refrainpart. Und ich war damals mit dem Stück nicht so ganz glücklich, da ich der Meinung war, da müßte jemand singen, eben im Chorus-Part. Mir fiel da Peter Heppners Stimme ein, weil ich keine beliebige Stimme haben wollte. Ich wollte eine markante Stimme und vor allen Dingen auch eine Stimme, die mit der Melodie auch etwas Leben erzählen kann. Dann habe ich ihn auf der GAMA-Verleihung gefragt und er hat gemeint ja, aber er möchte das Lied erst einmal hören und er wäre nicht abgeneigt. Damals war auch nicht einmal die Rede davon, daß das Stück jemals als Single veröffentlicht werden sollte, sondern einfach nur als zusätzlicher Beitrag zu unserem neuen Album. Wir haben ihm dann kurze Zeit später unsere Fassung von "Glasgarten" zugeschickt und dann hörten wir erst einmal eine ganze Weile nichts. Wir dachten schon, vielleicht gefällt es ihm nicht, oder er hat keine Lust dazu und irgendwann kam von ihm dann eine Version, wo er eben drübergesungen hat. Das hat uns sehr gut gefallen und dann sind wir ins Studio gegangen und haben das Lied aufgenommen. Dann waren Peter und ich von dem Stück positiv angetan, daß beide Seiten gedacht haben, man könnte ja eine gemeinsame Single daraus machen. Dann wurde das Stück noch einmal bearbeitet und dann entstand eben diese Single-Version, die sich ja doch noch mal von der Album-Version unterscheidet.
Journal: Die Stücke "Fleischschuld" und "Zimmer 34" sind hörspielartig aufgebaut und beschreiben in akzentuierter, tonloser Formulierung eindringlich menschliches Leid.
Was ist die Aussage dieser beiden Albumtitel?
Oswald Henke: Die beiden Stücke gehören zum Komplex der "Zornigen Utopien". Das Album ist ja in drei Abschnitte unterteilt und dieser Mittelteil heißt "Zornige Utopien". In diesem Stück geht es für mich um Dinge, die man möglichst nicht so in der Realität erleben möchte, wie ich es auf dem Album beschreibe. Zu Fleischschuld kann man sagen, Körperstrafen gab und gibt es ja noch immer in der Menschheitsgeschichte.
Journal: Was beinhaltet der erste Teil thematisch?
Oswald Henke: Man könnte sagen, das gesamte Album handelt von den zurückliegenden 12 Jahren von Goethes Erben und diese Zeit ist noch einmal kanalisiert in drei Themengebiete. Wobei man sagen könnte: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die allerdings miteinander vermengt sind, weil manchmal die Zukunft auch die Gegenwart einholt.
Der erste Teil beinhaltet die "Zeit nachzudenken". Das ist das innehalten. Für uns stellt das Album so ein Abschluß von einer bestimmten Periode im Schaffen von Goethes Erben dar. Und immer wenn man etwas bestimmtes erreicht hat und auch zurückblickt, dann denkt man darüber nach und bewertet das dann auch. Darum ist gerade der erste Teil auch sehr ruhig geworden.
Journal: Eure Texte geben dem Hörer die Möglichkeit, die Bedeutung verschiedenartig zu interpretieren. Warum läßt ihr ihm diese Freiheit?
Oswald Henke: Weil ich den Leuten nichts vorkauen möchte. Und ich denke, daß in dieser Spaßgesellschaft es auch manchmal Not tut, daß die Leute sich mal wieder mit Sachen auseinandersetzen und nicht nur konsumieren und wahrnehmen. Das macht auf Dauer keinen Sinn in meinen Augen.
Journal: Wollt ihr den Hörer textlich mit extremen Situationen konfrontieren, damit er beginnt nachzudenken?
Oswald Henke: Ja, oder sich zumindest mit Themen auseinandersetzt, die ihm vorher vielleicht gar nicht so bewußt waren, oder die er vor sich her geschoben hat. Themen, die einen irgendwann eben einholen. Krankheit und Tod ist etwas, womit jeder Mensch irgendwann auch einmal konfrontiert wird. Ich halte es für vernünftiger, in einem stabilen Stadium sich mit Dingen auseinander zu setzen, als wenn man von irgend etwas überrollt wird.
Journal: Die Grundidee bei der Gründung von Goethes Erben war, das deutsche, gesprochene Wort in den Mittelpunkt eines Musiktheaters zu stellen. Ist dies auch heute noch so?
Oswald Henke: Ja, wobei bei "Nichts bleibt wie es war" ist der Theateraspekt etwas nach hinten gerückt. Bei "Kondition Macht" und "Schach ist nicht das Leben" ist extrem dieser Theaterfaktor in den Vordergrund gerückt. Bei "Kondition Macht" haben wir das bis zum Exzeß betrieben, so daß dort eine zweite Sprechrolle in einem Stück vorkam. Allerdings sind wir bei "Nichts bleibt wie es war" wieder einen anderen Weg gegangen. Wie haben uns von der Darstellung wieder mehr auf meine Person auf der Bühne konzentriert. Arbeiten allerdings bei der Umsetzung neben der Live-Band mit Video-Projektoren.
Journal: Sind euch die Texte wichtiger als die Musik? Bindet ihr die Musik nur deshalb in die Stücke ein, damit die Texte verdaulicher sind?
Oswald Henke: Nein, weil wenn uns die Musik nicht wichtig wäre, dann würde ich Bücher schreiben und Lesungen halten. Wir versuchen, das eben auf eine sehr eigenwillige Form rüber zu bringen.
Journal: Ich merke nur, daß der Musikanteil über die Jahre stetig zugenommen hat.
Oswald Henke: Wir haben auch mehr Einflüsse zugelassen. Zur Zeit von "Niemandsland" hätte ich eine reguläre E-Gitarre nicht zugelassen. Damals hatte ich solche Scheuklappen, und habe gesagt: Nein, daß paßt nicht zu unserer Musik. Inzwischen kann ich mir eigentlich fast jedes Instrument vorstellen, was ich bei Goethes Erben einsetzten könnte. Das heißt, man ist älter geworden und man läßt einfach mehr zu, weil man auch Erfahrungen gewonnen hat. Es muß ja alles nur dem Stück dienlich sein, oder auch dem Text. Nach wie vor steht aber der Inhalt vom Text immer noch im Mittelpunkt von Goethes Erben. Es wird zum Beispiel keine Stücke geben, wo die Musik regulär dann alleine stehen soll. Bei "Kondition Macht" gab es vier Instrumentaltitel, allerdings waren die durch Tanz ergänzt, mit dem Ballett, was wir damals dabei hatten. Aber reine Instrumentalstücke würden vielleicht als Bindeglied zwischen zwei Titel funktionieren, aber nicht als einziges Stück. Bei allem steht doch irgendwo ein inhaltlicher roter Faden im Mittelpunkt.
Journal: Wo liegt die Schwierigkeit, der Sprache bei der Umsetzung einen adäquaten musikalischen Rahmen zu geben?
Oswald Henke: Die Schwierigkeit liegt da eigentlich nur am Unvermögen der Beteiligten, was Mindy und ich einfach nicht überzeugend in Musik setzen können. Ansonsten sehe ich keine Schwierigkeiten. Es kommt immer darauf an, wie man einen Text interpretieren möchte. Was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist, wenn ein Text sehr drastisch ist, dann muß die sprachliche Umsetzung so distanziert wie möglich wirken. Aus diesem Grund ist zum Beispiel ein Text wie "Fleischschuld" extrem distanziert gesprochen, bis auf den Refrain-Part. Hat eher den Flair von einem Nachrichtensprecher. Aus dem einfachen Grund muß man sich manchmal darauf verlassen, wie Worte alleine wirken.
Journal: Du verkörperst nicht den Sänger im eigentlichen Sinne, sondern trägst deine Texte und Lyrik in rezitierender Form als Sprechgesang vor. Warum?
Oswald Henke: Ich kann ja leider nicht singen. Das überlasse ich Leuten, die das besser können. Ich kann rezitieren, ich kann mit der deutschen Sprache einigermaßen umgehen und aus diesem Grunde mache ich das, wo ich glaube, wo ich die besten Fähigkeiten besitze.
Journal: Ist das wirklich der einzige Grund, nur zu rezitieren?
Oswald Henke: Ja, weil es mir einfach liegt und weil ich Goethes Erben als eine eigenwillige Form von Musiktheater gesehen habe.
Journal: Wäre es für dich auch denkbar, sich nur auf den Text oder nur die Musik zu konzentrieren?
Oswald Henke: Dann wäre es nicht mehr Goethes Erben, sondern dann wäre es etwas anderes. Ich habe ja schon Instrumentalsachen gemacht, die ich dann aber unter Erblast veröffentlicht habe. Weil ich fand, das paßte einfach nicht zu Goethes Erben in dem Moment.
Wenn ein Stück vom Text her extrem komplex ist, dann werde ich auch mit relativ geringen musikalischen Mitteln arbeiten und den Text möglichst allein stehen lassen.
Journal: Sind Goethes Erben eher eine Band oder ein Theaterensemble?
Oswald Henke: Im Moment mehr eine Band, wobei Goethes Erben selbst sind ja nur Mindy Kumbalek und ich. Allerdings alle Musiker, die an dem Album sonst noch beteiligt waren, gehören zu einem sehr festen Ensemble. Ohne die ganzen Leute, die dort mitwirken und auf dem Album zu hören sind, wäre das Album in der Form gar nicht möglich gewesen. Auch die haben sich da kreativ mit eingebracht.
GE sind ein Unikum in der Musikbranche, da ihr keine Musik im eigentlichen Sinne macht. Kann diese Sonderstellung auch eine Sackgasse für eine musikalische Weiterentwicklung sein?
Oswald Henke: Von meiner Warte aus nicht, aber von großen Teilen der Presse anscheinend ja. Die haben irgendwann einmal so eine Schublade für uns gezimmert und da liegen wir jetzt drin und dürfen anscheinend nicht raus. Leider. Das finde ich sehr schade, weil wir uns doch in den letzten 12 Jahren in verschiedenste Richtungen entwickelt haben.
Journal: Das ist natürlich auch damit verbunden, daß auch Depeche Mode an ihren Songs von früher gemessen werden.
Oswald Henke: Ja, aber gemessen an etwas, was war, ist ok, aber man muß doch auch jemanden eine Entwicklung zugestehen. Depeche Mode haben sich auch entwickelt. Viele der schreibenden Zunft denken noch immer, wir machen noch immer nur turbo düstere Musik. Das wir inzwischen auch ironisch und zynisch geworden sind, haben die noch gar nicht mitbekommen.
Journal: Naja, manche wollen es ja auch nicht mitbekommen.
Oswald Henke: Wollen es auch nicht mitbekommen, ist auch ok! Naja, dann haben sie eben ihren Beruf verfehlt. Aber so ist das eben.
Journal: Ist es ein Problem für dich, zwar sehr bekannt zu sein, aber geringe Verkaufszahlen zu verbuchen? Ergibt sich somit ein notwendiges Übel für das Projekt Goethes Erben, musikalische Zugeständnisse zu machen, um mit dem Verkauf von Alben die Zukunft der Erben auch finanziell zu gewährleisten?
Oswald Henke: Das ist so eine ganz schwierige Sache. Wir machen ja keine kommerziellen Lieder, um jetzt möglichst viel zu verkaufen, sondern um das Projekt einfach am Leben zu erhalten. Wir versuchen jetzt durch diese Single "Glasgarten" ganz klar auch neue Leute für uns zu interessieren. Allerdings laß ich mir jetzt nicht den Schuh anziehen, daß wir uns jetzt kommerziell weiter entwickeln würden. Weil dann hätten wir ein Album wie "Nichts bleibt wie es war" in der Form nicht gemacht.
Journal: Aber Kommerzialität ist doch nichts negatives.
Oswald Henke: Wir versuchen den Leuten im Gegensatz zu früher den Zugang zu Goethes Erben ein wenig leichter zu machen. Wenn er sich aber trotzdem mit dem Thema nicht auseinander setzten möchte, dann bringt es auch nichts. Man kann sich noch immer nicht nur nebenbei von Goethes Erben berieseln lassen. Selbst bei so einem relativ leicht zugänglichen Stück wie "Glasgarten" oder "Schreiheit" nicht. Also, man muß trotzdem noch so ein bißchen sich damit auseinander setzten, weil sonst bekommt man nicht mit, worum es eigentlich geht.
Journal: Goethes Erben haben ein sehr düsteres, makabres Image, gerade wegen der sehr direkten Wahl von provokanten und eindringlichen Worten.
Ist dieses Image gerechtfertigt?
Oswald Henke: Wenn sich jemand nur vom Hören und Sagen, oder daß er nur ein oder zwei Lieder von uns kennt, dieses Image in sein Hören eingebrannt hat, dann kann ich ihm eigentlich nur sagen, er soll sich bitte einmal auf ein Konzert von uns bequemen und uns einmal live erleben. Und dann seine Meinung fällen. Ich denke, man muß uns irgendwann einmal live gesehen haben und dann darf man gern den Stab über uns brechen. Aber nur aufgrund unseres Namens, Vergangenheit oder Images zu sagen, das lehne ich ab, das finde ich ein wenig anmaßend.
Journal: Wieso bist du solch ein ambitionierter exzessiver Musiker. Was treibt dich, diese Art von Musik zu machen?
Oswald Henke: Ich mache nur deshalb Musik, weil ich das Bedürfnis habe, etwas mitzuteilen. Ich habe etwas zu sagen und dann mache ich Musik. Wenn ich nichts zu sagen habe, würde ich nicht auf die Bühne gehen.
Journal: Das liegt im Grunde aber ja noch tiefer. Das ist ja nur das Resultat.
Oswald Henke: Ja, ich bin eben ein Mensch, der sich sehr kritisch mit seiner Umwelt auseinander setzt. Und das wirft viele Fragen auf und ich versuche viele Fragen oder viele Dinge, die mich bewegen oder berühren, textlich oder musikalisch umzusetzen.
Journal: Ist Musikmachen ein emotionales Ventil für dich, sozusagen Seelenbalsam?
Oswald Henke: Balsam für die Seele weniger. Sondern es ist eher eine Möglichkeit, Ballast von der Seele abzulassen, könnte ich sagen. Oder einfach umzusetzen. Wie man so schön sagt: Wenn man über etwas redet oder spricht, dann befreit es. Und so sehe ich es auch, wenn ich gewisse Themen künstlerisch umsetze.
Journal: Du hast in jungen Jahren als Krankenpfleger gearbeitet. Wie sind diese Einflüsse in die Arbeit bei Goethes Erben eingeflossen?
Oswald Henke: Ich würde einmal sagen, dieser Beruf ist mit daran Schuld, daß ich diese Art von Musik mache. Und zwar Schuld im positiven Sinne. Viele können es noch nachvollziehen, wenn sie Zivildienstleistender gewesen sind und in einer sozialen Einrichtung, im Krankenhaus, Altenheim oder Sozialstation gearbeitet haben. Da wird man von heute auf morgen von einer relativ heilen Welt, sei es Schule oder Ausbildung, in eine Welt, in der auch ganz viele Schattenseiten existieren, gerissen. Und das muß man auch erst einmal verarbeiten. Für mich war dieser Verarbeitungsprozeß eben Goethes Erben.
Journal: Könnte man eventuell auch sagen, Musik von Goethes Erben ist auch in der extremen Form wie sie existiert, von und für sensible Menschen gemacht?
Oswald Henke: Sie ist von und auch für sensible Menschen gemacht. Oder auch für Leute, die sich mal mit Dingen von anderen Menschen auseinandersetzen möchten und sich vielleicht auch in den Texten in irgendeiner Form wieder erkennen. Man macht zwar in erster Linie Musik für sich, aber man veröffentlicht sie nur dann, wenn man meint, man könnte vielleicht auch andere Menschen damit berühren und vielleicht auch in irgendeiner Form das Gefühl geben, man ist mit seinen eigenen Gedanken nicht allein.
Journal: Ihr seid Musiker, die noch sehr nah mit den Fans und einer Szene behaftet sind. Auf zahlreichen Veranstaltungen seid ihr zu finden und habt bereits mit vielen Musikern aus der Szene zusammengearbeitet. Was nehmt ihr als Inspirationen für eure Musik mit? Sowohl von den Fans als auch von den befreundeten Musikern?
Oswald Henke: Das ist eine schwierige Frage. Die Inspiration von Goethes Erben ist grundsätzlich erst einmal alles, was unser Leben und Denken in irgendeiner Form beeinflußt und manipuliert. Wenn wir Konzerte geben und das Publikum schätzt, was wir machen, dann bekommen wir wieder etwas zurück, um damit wieder Energie und Kraft zu schöpfen, um etwas neues auf die Bühne zu bringen. Das ist ein Geben und Nehmen, denke ich. Wir haben eigentlich im Vergleich zu Anderen noch nicht mit soviel unterschiedlichen Leuten zusammen gearbeitet. Der Kreis ist doch relativ klein. Peter Heppner ist jetzt einmal eine Ausnahme, von einem weiteren Umkreis von Musikern. Aber ansonsten stammt unsere ganze Gastmusikerriege letzten Endes auch von Bands, mit denen ich auch sonst im Nahen zu tun hatte. Zum Beispiel einige Artwork-Musiker sind dabei. Juliane, die bei "Kondition Macht" mitgemacht hatte, die ist meine Partnerin bei Erblast. Das ist immer eine große Musikerfamilie. Eben die Erben-Familie.
Journal: Bei einem früheren Album "Schach ist nicht das Leben" habt ihr mit FM Einheit (Einstürzende Neubauten) zusammengearbeitet. Was hat es euch an Erfahrung gebracht?
Oswald Henke: Hmm. Es ist grundsätzlich sehr interessant, mit Leuten, die von außen dazu stoßen, zusammen zu arbeiten. Das war damals mit Vladimir Ivanoff so, das war mit FM Einheit so und das war auch jetzt mit Jürgen Jansen so. Ich betrachte zum Beispiel die Funktion des Produzenten, als die eines Regisseurs. Der schaut sich an, wo sind die Stärken der einzelnen Beteiligten in der Songstruktur oder vom Arrangement, und wie bekomme ich das noch besser auf den Punkt. Weil wenn man als Musiker an einem Stück sehr lange arbeitet, wird man irgendwann sogenannt Betriebsblind. Und hat dann, da man das Stück schon in irgendeiner Form längere Zeit spielt, auch kaum noch Abstand zu dem Stück. Und dazu dient eigentlich der Produzent, d.h. er bereichert einen. Und man muß es natürlich zulassen, daß der Produzent manchmal sagt, laß uns das mal ausprobieren. Also, wir lassen uns prinzipiell nicht zu irgendwas zwingen. Aber im Vorfeld wird immer vereinbart, daß der Produzent letzten Endes doch auch in einem gewissen Rahmen agieren darf und wir uns dann erst einmal darauf einlassen. Und wenn uns etwas komplett gegen den Strich geht, dann würden wir es nicht tun. Aber die Produzenten, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, sind auch sehr unterschiedlich. Zum Beispiel FM Einheit hat sehr auf Rhythmen geachtet. Während Vladimir Ivanoff sehr mit Text und der Stimmung umgegangen ist, während Jürgen Jansen jetzt vom Arrangement die meisten Einflüsse gehabt hat, aber auch nicht auf alle Stücke.
Journal: Kannst du noch mehr zu der Rolle von Jürgen Jansen bei diesem Album sagen?
Oswald Henke: Er war genau der richtige Produzent für dieses Album. Wir sind äußerst zufrieden mit seiner Arbeit. Er hat an den einzelnen Stücken genau das Richtige erkannt. An manchen Stücken hat er gesagt, da muß man nichts machen, das ist so, wie es ist, gut. Bei einzelnen Stücken hat er dann doch mal gesagt, laß uns das oder das mal ausprobieren. Dann haben wir das ausprobiert und dann hat es uns gefallen.
Journal: Schreibst du die Stücke eines Albums primär für den Live-Einsatz, oder mit dem Hintergedanken, es auf ein Album zu setzen?
Oswald Henke: Grundsätzlich erst einmal nur, um es live umzusetzen. Mit ganz wenigen Ausnahmen von Stücken, die wirklich nur im Studio existieren. Aber das ist schon länger her, das ich Stücke nur im Studio gemacht habe. Auch bei diesem Album war es ja so, daß wir im April diesen Jahres das Album erst einmal live auf die Bühne gebracht haben. Allerdings im Nachhinein einige Titel von der Live-Umsetzung doch noch einmal verändert wurden. Also man muß das inzwischen mit zwei paar Stiefel betrachten. Man muß sagen, das Eine ist live, da kann man das und das machen. Und das andere ist Studio. Man sollte sich nicht selbst einschränken. Den Fehler habe ich damals bei "Schach ist nicht das Leben" gemacht, daß ich gesagt habe, ich möchte genau das, was ich live mache, auch auf der Platte dokumentieren. Das ist letzten Endes Quatsch, aber muß man erst einmal lernen. Wer Goethes Erben schon einmal live gesehen hat und auch unsere CD´s kennt, der weiß, daß da große Unterschiede im Arrangement und auch zum Teil in der Intensität von Stücken existieren. Das schwankt extrem.
Journal: Es ist ja auch verständlich, wenn man Musiktheater betreibt. Man kann ein Musiktheater nicht auf CD bannen, da müßte man höchstens ein Video drehen.
Oswald Henke: Deshalb sind wir gerade dabei, eine DVD zu dem Album zu machen. Ich weiß noch nicht, ob es gelingen wird, komplett jedes einzelne Stück praktisch in optischer Form umzusetzen, aber es ist letzten Endes das Ziel. Wir haben ja von "Glasgarten" gerade ein Video-Clip gedreht, dazu auch noch eine Dokumentation über 25 Minuten von unserem Island-Abenteuer. Wir haben zu "Eissturm" schon einen Clip, der auf der Glasgarten-Single als CD-Rom-Track enthalten ist. Wir versuchen mit dem Medium Bild noch mehr umzugehen. Und für uns ist die DVD eigentlich das optimale Medium.
Journal: Ist es ein schwieriger Spagat für dich, Goethes Erben sowohl live als auch auf einem Album zu präsentieren?
Oswald Henke: Nein, man sollte als Hörer sich nur nicht mit der Erwartungshaltung wie bei anderen, gerade wie bei Synthi-Pop-Bands, in ein Konzert gehen und sich sagen, ich möchte es genau so hören, wie es auf der CD klingt. Das würde so nicht bei Goethes Erben funktionieren. Weil wir auch grundsätzlich und absichtlich immer wieder Lieder und gerade ältere Lieder im Arrangement verändern. Allein das Stück "Das Ende" habe wir in 15 verschiedene Versionen gespielt. Einmal mehr klassisch, einmal mehr ruhig, einmal fast in Death-Metal, einmal mehr elektronisch, einmal sehr kaputt mit Metall. Die Möglichkeiten, so etwas umzusetzen, sind unerschöpflich. Und das live auf der Bühne macht eben auch den Spaß aus. Das ist meine Vorliebe. Die Studioarbeit ist nicht unbedingt das, was ich am liebsten mache.
Journal: Wieso nutzt ihr die ungewöhnliche Reihenfolge, erst live zu touren und danach ein Album zu veröffentlichen?
Oswald Henke: Als wir Anfang des Jahres vor der Entscheidung standen, wußten wir nicht genau, ob wir überhaupt ein Album aufnehmen werden. Insbesondere aus finanziellen Gründen. Wir haben einen gewissen Qualitätsanspruch, was gewisse Kosten für die Aufnahme bedeutet. Wenn wir dann einen Blick auf unsere Verkaufszahlen geworfen haben, haben wir festgestellt, eigentlich ist das letzte Album noch nicht einmal bezahlt. Von den Unkosten, die wir da hatten. Und dann waren wir uns auch unsicher, ob wir den Weg gehen wollen, jetzt furchtbar viel Geld für ein Album zu investieren, das sich letzten Endes auch nicht mehr verkauft. Ich kenne auch keinen Bäcker, der Brot bäckt, was nicht verkauft wird.
Journal: Ich behaupte einmal, ihr macht es dem Hörer nicht gerade einfach, ein komplettes Album am ganzen Stück durchzuhören. Seht ihr das selber auch so?
Oswald Henke: Das stimmt. Wir haben es noch nie einem Hörer leicht gemacht. Bislang bei unserem eingängigsten Album "Schach ist nicht das Leben" gab es auch Stücke wie "Begrüßende Worte", das extreme Toleranz voraussetzt. Aber das sind nun mal Goethes Erben. Wir sind nicht Depeche Mode oder irgendeine Band, die es jemandem leicht machen möchte. Wir machen ja keine pop-populäre Musik. Wir könnten es auch gar nicht, selbst wenn wir wollten.
Journal: Ich denke bei dem neuen Album ist das Können gegenüber den älteren Alben gestiegen?
Oswald Henke: Bei uns liegt es mehr am Wollen, denke ich. Ich bin immer noch der Meinung, daß ein Stück dem Stück dienlich umgesetzt werden muß. Ich kann nicht aus einem Thema wie auf "Zimmer 34" ein Pop-Stückchen machen. Das wäre dann eine glatte Themaverfehlung.
Journal: Wenn ihr ein großes finanzielles Budget zur Verfügung hättet, was würdet ihr euch wünschen, einmal live zu verwirklichen?
Oswald Henke: Dann würden wir das Opernhaus-Projekt in Angriff nehmen. Im Markgräflichem Opernhaus hier in Bayreuth, dem einzigen noch im ursprünglichem Stile erhaltenem Barock-Opernhaus der Welt, nachdem das in Venedig abgebrannt ist. Da würden wir etwas neues inszenieren, speziell für diesen Ort auch geschrieben. D.h. es würden nur akustische Instrumente zum Einsatz kommen. Aber das ist so weit in die Ferne gerückt, daß wir erst einmal darüber nicht nachdenken. Da kommt man nur schlecht drauf.
Journal: Wie wichtig ist dir die künstlerische Freiheit, bezogen auf Vorgaben des Labels oder Erwartungshaltungen von Fans?
Oswald Henke: Ich verlange einfach, daß ich dort freie Hand habe. Ich laß mir da auch nicht in irgendeiner Form rein reden. Ich laß mich auf manche Marketing-Sachen ein, aber nicht auf alles. Zum Beispiel den Videoclip, den wir gemacht haben, den haben wir komplett in Eigenregie gemacht, d.h. wir haben auch die künstlerische Überwachung gehabt. Die Umsetzung von Videoclips, wenn ich sie mir im Fernsehen anschaue, schöne bunte Bilder, schick geschnitten, aber so flimmerig und schnell, daß es einem Stück im Endeffekt kaum noch dienlich ist. Außer man hat ein Millionenbudget zur Verfügung. Uns ging es darum, unser Stück so wie wir es sehen und wie wir es auch gern optisch umgesetzt hätten, eben optisch umzusetzen. Wir haben die komplette künstlerische Kontrolle über alles. Wir entscheiden, wie das Cover aussieht und wir haben entschieden, wie das Video aussieht. Das Video haben letzten Endes Ulrike Rank, Peter Heppner und ich in Eigenregie gemacht. Die Mindy war auch noch dabei, hat aber mit der optischen Umsetzung weniger zu tun. Sie ist eben auch Mitglied von Goethes Erben und ist somit auf dem Video auch mit drauf.
Manche Marketing-Sachen, wenn sie meinen sie sind notwendig, dann muß das überzeugend vorgetragen werden und dann laß ich mich darauf ein, aber wir würden nicht alles mitmachen, was auf der Klaviatur des Marketing angefordert ist. Also im Frühstücksfernsehen wird man Goethes Erben nicht sehen. Da werde ich einfach nicht hingehen.
Journal: Wenn du zur Komposition eines Musikstückes nur ein Instrument zur Verfügung hättest, welches würdest du wählen?
Oswald Henke: Das Klavier. Das sieht man aber auch immer wieder bei Goethes Erben. Das ist eigentlich das zentrale Instrument.
Journal: Gibt es Musikgruppen, die dich in den letzten Jahren wirklich inspiriert haben?
Oswald Henke: Es gibt eigentlich nur eine Gruppe, die ich überhaupt sehr schätze, weil sie so absolut kompromißlos in allen Dingen sind, die sie gemacht haben. Und das waren die Legendary Pink Dots. Ansonsten gibt es eigentlich keine spezifische Gruppe.
Journal: Wenn man die Musik verbieten würde, was würdest du dann beruflich machen?
Oswald Henke: Dann würde ich in den Untergrund gehen. Und weiter meine Musik machen...
Ne, weiß ich nicht, was ich machen würde. Irgend etwas würde ich schon finden. Auf jeden Fall würde ich nicht mehr in die Krankenpflege zurück gehen.
Journal: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft.
(Maik Heinsohn 16/10/2001) |