Interview-Portrait mit Seabound
Ungekürzte Version Journal-Interview mit Martin Vorbrodt und Frank M. Spinath zum Debütalbum "No Sleep Demon" Die Newcomer-Band Seabound verpaßte der Electro-Szene mit einem innovativem Sound eine Frischzellenkur. Mit dem Debütalbum "No Sleep Demon" hat das Bielefelder Duo Martin Vorbrodt und Frank M. Spinath eine musikalische Reise mit unbekanntem Ziel in die menschliche Psyche angetreten.
Gegensätze und Widersprüche ziehen sich als Kernelement durch die Musik und letztlich durch die beiden beteiligten Personen. Während der Psychologe Spinath den thematischen und textlichen Rahmen ausarbeitet, vollendet der gebürtige Cuxhavener Vorbrodt die Songs mit ausgefeilten, komplexen Electro-Sounds. Der Gegensatz und das Pendeln in den Songs zwischen fesselnden melodischen Elementen und der kühlen, aggressiven Elektronik unterstreichen die thematische Darstellung der Zerrissenheit der menschlichen Gefühlswelt.
Journal: Wofür steht der Begriff/das Kunstwort SEABOUND?
Frank: Der Bandname "Seabound" drückt zum einen unsere Verbundenheit mit dem Meer aus. Mich persönlich hat es an
verschiedenen "kritischen" Punkten meines Lebens ans Meer gezogen: Ich empfinde es als aufwühlend und gleichzeitig tröstlich, am Meer zu sein. Definitiv rückt es die eigene Perspektive zurecht: Gegenüber diesem mächtigen und scheinbar immerwährenden Naturschauspiel erscheinen die Probleme eines einzelnen unbedeutend. Das kann hilfreich sein.
Andererseits heißt "seabound" soviel wie "in See stechen" und ist eine treffende Metapher für unser Geburt und unser Leben. Wir befinden uns auf See mit der ständigen Gefahr unterzugehen und unser Ziel nicht zu erreichen.
Journal: Was ist das thematische und musikalische Konzept von "No sleep demon"?
Frank: Thematisch ist "No Sleep Demon" eine Art multimediales
Tagebuch aus einer stürmischen Zeit. Zum einen gab es in dieser
Zeit Phasen von Schlaflosigkeit, die meine Wahrnehmung der Welt
beeinflusst und verzerrt haben. Andererseits beschäftigen sich die Texte auf "No Sleep Demon" mit den Themen wie z.B. der Frage nach der Ausrichtung des eigenen Lebens und der individuellen Sinnsuche. Ich beobachte gern und bin neugierig, wie andere Menschen diese Fragen für sich beantworten. Genau so interessant, wenn auch ungleich dramatischer, ist es, zu erleben, wie Menschen an diesen Fragen scheitern. Das ist der Nährboden für meine Texte. Ein Vorteil, der sich für Seabound daraus ergibt, dass unsere Musik rein elektronisch ist, besteht in der Möglichkeit, die Dramatik dieser Themen mit entsprechenden, z.T. dramatischen und "unnatürlichen" Sounds zu unterstreichen.
Journal: Elektronik ist die neueste Technik, Musik zu erzeugen, sozusagen das kompositorische Mittel unserer Zeit. Und auch eure behandelten Themen (individuelle Sinnsuche des Lebens und das Scheitern daran,...) sind Themen der Neuzeit. Früher hatten die Menschen mit Hungersnöte, Krankheiten und der Witterung zu kämfpen. Heute rücken diese primären Bedürfnisse des Menschen in den Hintergrund und psychische und geistigere Themen beschäftigen gerade die industrialisierte Gesellschaft.
Können vielleicht auch deshalb nur mit Hilfe der elektronischnen
Musik diese Ängste und Dramaturgien zeitgemäß überzeugend
rübergebracht werden? Würden Menschen außerhalb der
industrialisierten Gesellschaft (Dritte Welt, Indianer,...) solche Empfindungen ebenfalls umsetzen können? Nicht mit Elektronik, sondern mit Naturinstrumenten?
Frank: Ich glaube, dass die kulturellen Unterschiede in der Musik
tatsächlich etwas mit Traditionen und dem Grad an Befriedigung von Grundbedürfnissen zu tun hat. Insofern glaube ich auch, dass die Künstlichkeit elektronischer Musik und die thematische Beschäftigung mit Sinnsuche in zweifacher Hinsicht ein Luxusgut von Musikern unserer Zeit und unserer Kultur sind. Das Ganze hat einen stark virtuellen Charakter. Für mich persönlich gilt auch, dass Elektronik die stimmigste Umsetzung dieser Themen und Emotionen erlaubt und ich täte mich schwer damit, andere Ausdrucksmittel (z.B. Naturinstrumente) als gleichwertig zu erleben. Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass Menschen außerhalb der industrialisierten Gesellschaft andere Ausdrucksformen für vergleichbare emotionalen Zustände besitzen.
Journal: Thematisch steht im Zentrum bei Seabound die Zerrissenheit der menschlichen Psyche. Betrachtet man den Aufbau von einem Teil Eurer Stücke ist dies ebenfalls zu beobachten. In den Stücken wechseln sich harmonische, melodiöse Passagen mit
aggressiven, verschachtelten Bereichen ab. Ist dieses Pendeln der
Gemütszustände das zentrale Thema von "no sleep demon"?
Frank: Widersprüche und Gegensätzlichkeit sind in der Tat ein
Kernelement von Seabound. Gegensätze ziehen sich durch unsere Musik ebenso wie durch unsere Texte, und letztlich auch durch die beiden beteiligten Personen. Gegensätze und Widersprüche sind in meinen Augen aber häufig auch das, was eine Sache erst interessant und vielschichtig macht: So wenig, wie ich eindimensionale Musik mag, interessieren mich eindimensionale Personen. Die Persönlichkeit unter der nach Außen getragenen Maske ist es doch, was eine Person erst vollständig ausmacht. Oftmals ist es die Seite einer Person, die kaum jemand kennt, die sie besonders charakterisiert. Die Vielschichtigkeit von Menschen ebenso wie von Geschichten umfasst sämtliche Facetten von Verhalten und Gefühlszuständen, und das versuchen wir auf "no sleep demon" musikalisch einzufangen.
Journal: Würdest ihr mir zustimmen, das Menschen im ersten Moment meistens genau das Gegenteil von dem sind, was sie nach außen hin darstellen zu versuchen? Man könnte dieses auch auf Eure Musik beziehen. Im Vordergrund kalt, kantig und scheinbar dunkel, aber nach genauerer Beschäftigung damit, erkennt man die warmen, harmonischen Strukturen.
Frank: Das klingt ja schon fast nach Mimikry, d.h. die aus der Tierwelt bekannte Nachahmung wehrhafter Tiere durch nichtwehrhafte, im Sinne eines Schutzmechanismus. Ich glaube schon, dass sich hinter einem sehr rauhen und unnahbar wirkendem Äußeren ein sensibler Mensch verbergen kann, aber ich würde nicht sagen, dass Menschen in der Regel das Gegenteil von dem sind, was sie nach außen verkörpern.
Ich denke aber, dass viele Menschen Facetten und Untiefen haben (können), die man erst entdecken muss. Und hier sehe ich auch die Parallele zu unserer Musik: Es braucht vielleicht ein bisschen Zeit, um zu entdecken, das sich beispielsweise hinter der Pop-Melodie von TORN ein Text verbirgt, der von Selbstmordphantasien handelt. Aber diese Entdeckung verleiht dem Stück eine zusätzliche Dimension und Gegensätze sind nun mal ein Markenzeichen von uns.
Journal: Ein Debütalbum ist oftmals ein "Best-Of-Album" der angesammelten Musikstücke. Ist dies bei euch auch der Fall gewesen?
Martin: Wir haben für das Album fünf ältere Stücke von einem Demo
genommen und neu abgemischt. Die neueren Stücke sind in einem
Zeitraum von etwa einem dreiviertel Jahr entstanden, in dem wir
schon Kontakt zu Dependent hatten. Natürlich wählt man für das
Debüt schließlich die Songs aus, die zu den persönlichen Favoriten zählen. Trotzdem hatten wir immer auch den musikalischen Zusammenhang und den Flow des Albums im Blick.
Thematisch sind einige der Stücke direkt miteinander verbunden, so dass "No Sleep Demon" als einheitliches Album funktioniert. Auf der anderen Seite würde ich nicht sagen, daß die Songs vom Demo, die es schließlich nicht auf "No Sleep Demon" geschafft haben, schlechter wären. Daniel Meier von Haujobb hat uns z.B. diese Woche geschrieben, daß er ein paar Sachen vom Demo auf dem Album vermissen würde.
Journal: Dem kann ich mich nur anschließen. Meine persönlichen Highlights vom Demo sind neben "Dunnocks" ganz klar "Day Of The Century" und "October Song". Warum sind diese nicht auf Eurem Debüt vorhanden.
Martin: "Day Of The Century" und "October Song" sind schöne Songs. Die anderen Stücke vom Demo haben uns aber mehr angesprochen, was sich übrigens auch mit den Reaktionen auf das Demo deckte. Außerdem waren wir der Ansicht, daß die anderen Songs besser in den musikalisch-textlichen Kontext und in das Konzept von "No Sleep Demon" passen. Bezüglich "Day Of The Century" kann ich Dich übrigens beruhigen: es wird in der zweiten Jahreshälfte in einer überarbeiteten Fassung exklusiv auf der "Orkus"-Samplerreihe erscheinen.
Journal: Die neueren Stücke (Smoke, Exorcize, Point Break, Avalost und Hooked) erscheinen mir in der Grundstruktur zum Teil
reduzierter und besser auf den Punkt getroffen. Seht ihr das selbst auch so, bzw. wo liegt der kompositorische Unterschied zu den anderen Stücken. Oder ist es nur eine Einbildung meinerseits?
Martin: Vielleicht sind diese Stücke eingängiger. Einen wirklichen Unterschied hat es aber hinsichtlich der Produktion oder der Komposition nicht gegeben. Es ist auch keine "Kehrtwende" beabsichtigt.
Frank: Ich denke, dass sich die konzentriertere Arbeit mit Blick auf das Album und die Erfahrung mit Eskil Simonsson von Covenant, der die "Travelling"-Single co-produziert hat, positiv auf unsere späteren Stücke ausgewirkt haben. Für mich zumindest war es einfacher, bei einem Stück auf ein bestimmtes Sample oder eine zusätzlichen "Kniff" zu verzichten, weil das, was ich damit ausdrücken wollte, im Gesamtbild bereits enthalten war.
Journal: : Ändert sich über die Jahre die Herangehensweise bei den ersten "Handgriffen" zu einem Song bei zunehmender Erfahrung mit der elektronischen Technik?
Martin: Die "ersten Handgriffe" sind gleich geblieben: man hat eine Melodie, eine Harmonie oder einen Rhythmus im Kopf und entwickelt mit dem Synthesizer oder dem Sampler sukzessive einen Song daraus. Teilweise werden die ersten Anfänge sogar am Klavier eingespielt. Die gravierenden Unterschiede in technischer Hinsicht hat es bei uns dagegen im Bereich der Aufnahmetechnik und der Signalverarbeitung gegeben, z.B. der Wechsel vom Tonbandgerät zum reinen Harddiscrecording.
Journal: Während Martin anfangs als das "unbefleckte Gruppenmitglied" galt, weil er keinen Bezug zur Electro-Szene hatte, ist Frank leidenschaftlicher Sammler von CD´s dieser Musikrichtung. Wie wirkt sich dieser Gegensatz bei der Komposition aus?
Martin: Unbefleckt - was für eine blumige Wortwahl. Tatsächlich
habe ich bis zur Mitte der 90er wenig Musik der Alternative/EBM/Electro-Sparte gehört.
Erstaunlicherweise gehen trotz dieser Tatsache oft die
Industrial-Einflüsse von mir und die Pop-Einflüsse von Frank aus.
Ich glaube, es kann ein großer Vorteil sein, wenn man nicht
allzuviel Musik der gleichen Sparte gehört und in sich aufgesogen
hat. So kann man unvoreingenommen und eigenständig an die eigene
Musik herangehen. Ansonsten besteht die Gefahr, die Sachen, die man mag, unterbewußt zu kopieren.
Frank: Mein Musikgeschmack ist eher breit und reicht von Tori Amos bis zu Yello, auch wenn die Electro-Industrial Sparte breit vertreten ist. Ich hatte mit den frühen Front 242 ein Aha-Erlebnis, weil es Musik war, die mich mit ihren kraftvollen Beats und Synths zum allerersten mal WIRKLICH begeistert hat. Auf die Komposition wirkt sich meine "EBM-Erfahrung" aber eigentlich nicht aus, weil wir uns an den bereits existierenden Bands und deren Musik kaum orientieren.
Journal: Warum nutzt ihr elektronische Instrumente zur Umsetzung eurer musikalischen Gedanken?
Würde Seabound auch mit akustischen Instrumenten "funktionieren"?
Martin: SEABOUND lebt vom Zusammenspiel der Texte mit dem
elektronischen Sound. Die emotionalen Lyrics, die teilweise
verletzlich wirken, stehen oft in einem Spannungsverhältnis zu dem Sound, der Härte und Sterilität vermittelt. Dieses
Spannungsverhältnis gibt der Musik eine weitere Dimension. Deshalb kann ich mir kaum vorstellen, daß die Songs auf akustischen Instrumenten funktionieren würden. Es wäre aber einen Versuch wert. Vor zwei Wochen hat uns eine amerikanische Sängerin kontaktiert, die AVALOST (von der "Travelling"- Single) in einer Version mit akustischer Gitarre und Gesang covern möchte. Darauf sind wir sehr gespannt.
Frank: Ich spiele unsere Songs zu Hause ab und zu in einer reinen Piano-Version und freue mich, dass es geht. So sehr ich Sound-und-Rhythmus Virtuosen à la Aphex Twin oder Autechre mag, so wichtig finde ich es für unsere eigene Musik, dass sie Songqualitäten hat und melodisch ist. "Seabound unplugged" würde ich trotzdem nicht machen wollen. Dafür hänge ich viel zu sehr an den besonderen Klangfarben, die außerhalb der elektronischen Musik kaum möglich sind.
Journal: Inwieweit seid ihr somit von der zur Verfügung stehenden Technik abhängig?
Martin: Seabound lebt vom elektronischen Sound. Wir sind deshalb auf Synthesizer und Sampler angewiesen. Das sind allerdings für mich normale Musikinstrumente wie für andere Musiker Cello oder Oboe. Wir sind nicht in größerem Umfang von der Technik abhängig, als andere Musiker. Der Metall-Gitarrist kann ohne seine Verzerrer und Verstärker auch keinen Laut von sich geben. Und wenn ich an den Gesang so mancher Pop-Sternchen denke, der mit einem ungeheurem Gerätefuhrpark so bearbeitet wird, daß er sich zufriedenstellend anhört, finde ich unseren Technikeinsatz dagegen sogar fast verschwindend gering. Elektronikmusikern wird von Laien oft unterstellt, daß letztlich "der Computer die komplette Musik macht". Das ist natürlich der gleiche Blödsinn, als würde man einer Rockgruppe unterstellen, deren Tonbandgerät hätte die Musik doch eigentlich erzeugt.
Journal: Musiker und Hörer im Electrobereich werden immer wieder von "Normalmusik-Hörern" mit dem Begriff der kalten, dunklen
Electromusik konfrontiert. Gleichfalls empfinden sie selber diese
Sounds als keinesfalls dunkel, bedrohlich und kalt. Wieso
depremiert/befremdet dieser Sound einen Teil der Menschheit und
euphoriert einen anderen Teil?
Frank: Ich denke, dass derartige Unterschiede möglicherweise mit
früh existierenden Hörpräferenzen zusammenhängen, die vielleicht
sogar genetischen Ursprungs sind. Das heißt nicht, dass es ein
"EBM"-Gen gibt. Aber Tendenzen, bestimmte Klänge als angenehm zu
erleben, während man andere nicht mag, könnten auch genetischen
Einflüssen unterliegen. Hinzu kommen Erfahrungen. Man kann Menschen ja sogar auf bestimmte Musikrichtungen konditionieren. Und bestimmt kennst Du das Phänomen, dass bestimmte Musikstücke einfach aufgrund ihrer symbolhaften Bedeutung einen besonderen Stellenwert für Dich einnehmen. Zuguterletzt kommt der Einfluss von Freunden und Familie dazu. Allein in meiner Klasse haben damals ein halbes Dutzend Leute Pink Floyd gehört, weil sie einen großen Bruder hatten.
Martin: Meines Erachtens liegt es einfach an der Gewöhnung. Wer den ganzen Tag hirnschonend-gefällige Berieselung im Chart-Radio hört, bekommt einen Schrecken, wenn sich mal eine anstrengende Electro/EBM-Scheibe in den CD-Player verirrt.
Journal: Den Großteil Eures Debütalbums habt ihr selber produziert. Dies hat den Vorteil, daß wirklich nur die eigenen Vorstellungen einfließen. Würdet ihr auch einen Produzenten für ein komplettes Album einsetzen?
Martin: Die Zusammenarbeit mit einem Produzenten hat den Vorteil,
daß ein professioneller Außenstehender seine Meinung und Ideen in
die Stücke einbringt. Es besteht die Chance, die Stücke "gerader"
zu produzieren und Unnötiges wegzulassen. Auf der anderen Seite
lauert die Gefahr, daß die Eigenständigkeit des eigenen Stils
verlorengeht. Wir haben uns für die Produktion vier Monate Zeit
genommen, eine Zeit, die wir mit einem Produzenten nie gehabt
hätten. Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, dass Frank und ich den Hang zum Perfektionismus haben (manchmal zum Leidwesen der Leute, die mit uns arbeiten). Auf der anderen Seite konnten wir uns auf diese Weise soviel Zeit lassen, bis wir wirklich zufrieden waren.
Die Zusammenarbeit mit einem Produzenten ist darüber hinaus Vertrauenssache. Mit dem richtigen Produzenten können wir uns eine Zusammenarbeit für ein komplettes Album deshalb natürlich vorstellen. Der Erfolg einer solchen Zusammenarbeit lässt sich jedoch erst einschätzen, wenn man fertig ist...
Journal: Was wertet ihr als größeren Erfolg? Mehr Hörer zu erreichen, was ja ein Hauptgrund einer Veröffentlichung ist, oder eine noch perfektere Umsetzung der eigenen musikalischen Gedanken. (Skinny Puppy beispielsweise haben ja mit der Veröffentlichung ihrer Musik und dem dazugehörigen Verkauf von CD´s entscheidend ihre technischen Möglichkeiten und eigenen Existensicherungen finanziert, um noch weiter im elektronischen Bereich forschen zu können. Es wurde sozusagen die weitere Arbeit einer Band durch die Partizipation der Fans finanziert.)
Frank: Skinny Puppy haben im Laufe der Jahre einen wirklich
einzigartigen Sound entwickelt. Entscheidend ist dabei vor allem aber, dass Cevin Key jemand ist, der mit den wachsenden Fuhrpark an Geräten auch umgehen konnte und die Zeit investiert hat, deren technische Möglichkeiten auszureizen. Mit der heutigen Generation von Synthesizern und Samplern ist es meiner Meinung nach nicht mehr nötig, ständig neue Geräte anzuschaffen, um den Sound maßgeblich zu verbessern. Wichtiger scheint es mir, die eigenen Geräte zu verstehen und kreativ mit ihnen umzugehen. Selbst die für ihren innovativen Sound geschätzten Haujobb
kommen mit wenigen Geräten aus, weil sie sie zu nutzen verstehen.
Insofern müssen wir nicht erfolgreicher sein, um soundtechnisch
entscheidend hinzuzugewinnen. Ich empfinde es daher zur Zeit als
Erfolg, neue Hörer anzusprechen und mit Seabound bekannt zu machen. Ich möchte ihnen mit unserer Musik und unseren Texten etwas Neues anbieten, und ich freue mich über die bisherigen Reaktionen. Darin liegt für mich derzeit der stärkste Reiz.
Martin: Das sehe ich auch so. Aufgrund der technischen Weiterentwicklung im Studiobereich ist eine ordentliche Studioausrüstung, die vor Jahren noch den Wert einer Eigentumswohnung hatte, heutzutage erschwinglich geworden. Ich bin mit meiner Ausrüstung vollständig zufrieden, weil ich gut mit ihr umgehen und meine Ideen schnell umsetzen kann, ohne auf Grenzen zu stoßen (was nicht heißen soll, daß ich nie wieder ein Musikinstrument kaufen werde). Mehr Geräte heißt nicht zwangsläufig bessere Musik. Es besteht im Gegenteil die Gefahr, sich zu verzetteln, und nur noch die Voreinstellungen der Instrumente zu benutzen, weil man sich bei der Vielzahl nicht mehr mit dem einzelnen Gerät auskennt.
Journal: Welchen Einfluß hatte Eskil bei "No Sleep Demon"?
Martin: Wir haben mit ihm zusammen die TRAVELLING-Single - genauer gesagt den Titelsong - in seinem Studio aufgenommen. Mit der Produktion der Stücke auf dem Album hatte er aber nichts zu tun. Abgesehen von einigen technischen Tips, die er uns gegeben hat, hatte er also keinen weitergehenden Einfluss auf das Album.
Journal: Gehört zum Konzept von Seabound auch die Erklärung der schwer interpretierbaren Texte? Wird sich die aufwendige Interpretation der Texte auf eurer Homepage zum Gesamtkonzept von Seabound weiterentwickeln?
Frank: Wir wollten von Anfang an, dass die Texte einen bedeutenden Anteil an unserer Musik ausmachen. Die Interpretation unserer eigenen Texte, wie sie z.B. auf unserer Homepage (http://www.seabound.de) für eine Auswahl von Stücken vorliegt, war zunächst eher eine Reaktion auf Nachfragen unserer Hörer. Mir macht diese Dechiffrierung aber Spaß. Sie ist ein Angebot an diejenigen, die mehr über die Hintergründe der Texte wissen möchten. Das Internet gibt diese Möglichkeit, ohne dass wir jedem die Texte und eine Bedienungsanleitung dazu aufzwingen müssen. Ich freue mich auch, wenn Fans schreiben, dass ihnen ein bestimmter Song einfach gefällt.
Nutzt ihr Musik als psychologische Bestandsaufnahme/Dokumentation von menschlichen Gefühlen? Sozusagen ein akustisches, empfindbares Lehrbuch über Gefühlszustände? Wäre doch mal ein interessantes
Sach-Hörbuch. Psychische Extremzustände zu vertonen!
Frank: Das ist eine sehr interessante und treffende Beschreibung
unserer Musik. Allerdings ist diese Vertonung von menschlichen
Gefühlen eine sehr persönliche und individuelle Umsetzung, die weit von einer Art wissenschaftlichem "Sach-Hörbuch" mit einem gewissen Anspruch auf Allgemeingültigkeit entfernt ist. Bei Deiner Frage musste ich an ein älteres Stück von Kate Bush denken (Experiment IV), in dem Wissenschaftler an einer Art "Todesklang" basteln - einem Audioexperiment, bei dem verschiedene Klänge, die eine extreme Emotion ausdrücken, zusammengefügt werden. Das Ergebnis ist ein Klang"monster", das außer Kontrolle gerät. Die Samples, die ich mitunter in unsere Musik einbringe, sind in gewisser Weise auch solche Reflektionen psychischer Zustände.
Journal: Wieso reizt euch gerade dieses Thema zu einer musikalischen Umsetzung?
Frank: Es ist eigentlich einfach: Ich habe ein großes Interesse daran, die menschliche Psyche und deren Abgründe zu verstehen. Dies ist für mich eine Art Grundthema, dem ich mich in vielen Formen widme; sei es durch meine Arbeit als Wissenschaftler oder als Privatperson, die sich zum Beispiel für die Geschichte von Serienmördern interessiert. Andererseits war die Musik schon immer meine erklärte "Ausdrucksform", aber zu Beginn fehlten mir die technischen Mittel. Für mich bietet insbesondere die elektronische Musik die Möglichkeit, teils berichtend,
teils gestaltend zu arbeiten (z.B. durch die Einbindung von
Zitaten/Sprachsamples in die Musik). Hinzu kommt, dass ich
elektronische Musik immer schon als sehr kraftvoll empfunden habe und diese Kraft selbst zu entfesseln und dabei Themen aufzugreifen, die mich interessieren, ist eine Ausdrucksform, die wie für mich gemacht ist.
Journal: Wie stellt ihr euch eine Live-Präsentation vor?
Frank: Ehrlich gesagt, ist bei uns der Wunsch, unsere Musik live zu präsentieren, erst nach und nach gewachsen. Als die Entscheidung fiel, unsere Musik bei Dependent zu veröffentlichen, war der erste Meilenstein das Produkt "No Sleep Demon". Jetzt, wo die CD erschienen ist und so gut aufgenommen wird, werden wir uns mit der Frage der Liveauftritte beschäftigen. Vorher wird es möglicherweise aber noch eine zweite Single geben.
Journal: Wie sieht die musikalische Zukunft von Seabound aus? Wird der musikalische Demon schlafen? Werden die Stücke ruhiger,
ausgeglichener, wie beispielsweise "Avalost" und "Point Break"?
Martin: Es wird immer die ruhigen, melodiösen Stücke geben. Genauso wie die etwas härtere Gangart, gehören sie zum Konzept von Seabound. Diese Gegensätzlichkeit ist ein wichtiges Merkmal unserer Musik.
Frank: Der Dämon begleitet mich tagtäglich und das letzte, was ihm in den Sinn kommt, ist Schlaf. Wir haben bereits einen neuen Demosong aufgenommen und arbeiten an einer sehr interessanten Clubvariante von HOOKED, dem poppigsten Song des Albums. Insofern könnte man unsere zuletzt entstandenen Stücke "Point Break" und "Avalost" vielleicht als Ruhe vor dem Sturm bezeichnen.
Journal: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft.
(Maik Heinsohn 06/2001) |